Revolution 1918/19 in Garching – Chronologie und Erläuterungen Von Michael Müller, Dezember 2019 1918-01-28 Berlin 400.000 Arbeiter streiken. Freimann Kruppsche Geschützwerke: Kurt Eisner (USPD) ruft vor einer großen Versammlung von Arbeitern im Schwabinger Bräu zum Streik für die Beendigung des Krieges auf, gegen die Meinung von SPD und Gewerkschaften. Am 31.01. beginnt der Streik, am 1.2. wird Eisner verhaftet und im Gefängnis am Neudeck, später in Stadelheim inhaftiert. 1918-09-02 In Garching beschließt der Gemeindeausschuss, „infolge der immer mehr zunehmenden nächtlichen Diebstähle, Ruhestörungen, Umherstreunens durch die Jugend … die Polizeistunde an Werktagen, Sonn- und Feiertagen auf abends 10 Uhr“ festzulegen. (Protokollbuch im Stadtarchiv Garching; Geisel 55 gibt irrtümlich „im November 1918“ an, also nach Kriegsende; den Fehler übernimmt Baumgartner 366) 1918-10-14 Eisner aus der Haft entlassen, weil er für die geplante Landtagswahl kandidiert. 1918-11-07 Eisner fordert bei einer großen Kundgebung auf der Theresienwiese neben Erhard Auer (SPD) das Ende des Krieges. König Ludwig III. flieht. Eisner ruft im Landtag den „Freistaat Bayern“ aus, also die Republik, und bildet eine Regierung. Gleichzeitig lässt er in Versammlungen Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte wählen, auch in den Kommunen. 1918-11-09 Berlin: Philip Scheidemann (SPD) ruft die Republik aus. Der Kaiser flieht. Zum Vergrößern klicken 1918-11-27 Der Garchinger Bürgermeister August Kellerer schreibt an das Bezirksamt: Die Gemeinde hat sich selbst eine Bürgerwehr aus 30 Bürgern errichtet. „Es sind lauter solche Leute, die militärisch mit der Waffe ausgebildet sind und schon mehrere Jahre im Felde gestanden sind.“ „Der Arbeiterrat ist bei uns so minimal, dass er sich um die Sache gar nicht kümmert.“ Kellerer bittet um 30 Gewehre. Die Gemeinde erhält 20 Gewehre mit Seitengewehr und jeweils 45 Schuss Munition. (Geisel 55; Baumgartner 366) 1919-01-12 Landtagswahl: BVP 35 %, SPD 33 %, DVP 14 %, Bayer. Bauernbund 9,1 %, USPD 2,5 %. 1919-02-21 Eisner auf dem Weg zum Landtag ermordet. 1919-03-17 Der Landtag bildet die Regierung Hoffmann aus SPD, DVP und Bauernbund. 1919-04-07 Der „Zentralrat“ proklamiert die (1.) Räterepublik unter Ernst Toller (USPD, Pazifist). Die Regierung Hoffmann flieht nach Bamberg. 1919-04-13 Die „Republikanische Schutztruppe“, im Auftrag der Regierung Hoffmann, versucht vom Hauptbahnhof aus einen Gegenputsch, verhaftet Toller (Palmsonntagsputsch). Beim Kampf um den Hauptbahnhof gibt es etwa 70 Tote und Verwundete, die Putschisten fliehen im Zug. 1919-04-14 Die KPD in München ruft die 2., kommunistische, Räterepublik aus unter Führung von Eugen Leviné (KPD) und bildet eine „Rote Armee“ unter dem jungen Matrosen Rudolf Eglhofer. Hoffmann bittet die Reichsregierung um Militärhilfe. 1919-04-25 Die Regierung Hoffmann verhängt das Standrecht. 1919-04-13 Freimann. Arbeiter der Kruppschen Geschützwerke bilden die „Kompanie Krupp“ der „Roten Armee“. (Baumgartner 365) In Garching ruft Bürgermeister Kellerer den Gemeindeausschuss zusammen, (der sich jetzt „Garchinger Arbeiter- und Bauernrat“ nennt ?). Der formuliert ein Protestschreiben an das Bezirksamt, weil „heutzutage noch immer nicht Ordnung u. … sich die Lage noch nicht gebessert hat u. … dass er die Gewehre nicht abgibt sondern an die Bürgersöhne wieder verteilt. Den (!) auf eine Regierung kan (!) man sich heute noch nicht verlassen.“ (Geisel 56) 1919-04-14 Bewaffnete „rote“ Soldaten aus Freimann beschlagnahmen die Gewehre beim Garchinger Bürgermeister. Er protestiert am nächsten Tag erfolglos beim Bezirksamt. (Geisel 56; Baumgartner 366, dort beim Kap. „Freimann“ steht der 15.4.) 1919-04-26 Freising eingenommen von der „Gruppe B (Ingolstadt)“ in der Nacht auf 26. April; dort Verhaftung des Verkehrsministers der Räte Paulukum in einer Gaststätte beim Essen, angeblich „mit einem Koffer voll Geld“. (Niederwerfung 90-91) 1919-04-26 Das 5. Ulanenregiment marschiert in Freising ein. (Baumgartner 370, Postkarte) 1919-04-26 Schleißheim: „Rote“ Soldaten räumen den Flugplatz fast widerstandslos den „Weißen“. Ein Panzerzug steht nun in Schleißheim. (Wollenberg 117 f.) 1919-04-27./28. Vormarsch auf München mit der Eisenbahn, Panzerzüge voraus. Für den 30.04. ist der Angriff auf die vermutete Verteidigungslinie Pasing-Dachau-Freising anberaumt. Kaltes schneeiges Wetter (Niederwerfung 96 und 103) 1919-04-27 Abends: Das Kavallerie-Schützen-Kommando 14 ist von Freising aus auf dem Schienenweg nach Schleißheim und „schlug dort rote Banden, welche die Ausladung zu stören suchten, teils auch allerhand Anschläge auf die Eisenbahn selbst im Schilde führten, aus dem Feld“. (Niederwerfung 103) 1919-04-27 Eine rote Patrouille in Stärke von 25 Mann, darunter 15 russische Kriegsgefangene, wird von Dachau nach Schleißheim geschickt, um einen zweiten Panzerzug, der „einige Kilometer nördlich an einer kleinen Station hielt, … durch Sprengung der Geleise … wenigstens vorübergehend unschädlich zu machen.“ In der Nacht gelingt es, „mit geballten Handgranatenladungen“ die Schienen zu sprengen. Die Lokomotive entgleist, der Lokführer ist tot. Die Patrouille liefert sich in der Nacht und im Morgengrauen Gefechte mit den weißen Soldaten in Schleißheim. Die Patrouille kann sich mit fünf Verwundeten zurückziehen, vier bleiben schwer verwundet zurück; „sie wurden von den weißen Banden unter grausamen Foltern ermordet.“ (Wollenberg 118 f.) Der Ortschronist von Oberschleißheim, Otto Bürger, verlegt die Gleissprengung auf den 30. April bei Mittenheim, nachdem dieser Panzerzug in Neufahrn ausgeladen worden ist. Er gibt an, der Heizer sei tot. (Baumgartner …, Foto) 1919-04-28 Vorstoß der Roten von Garching bis Eching, um dort die aus München geflohenen Angehörigen der Thulegesellschaft zu vertreiben. Sie hatten ihr Quartier im Alten Wirt. Sie wollten dort den Widerstand gegen die „Roten“ organisieren und Unterstützer für das Freikorps Oberland anwerben. Sie ziehen sich nach Eichstätt zurück und werden dort der Garnison Ingolstadt eingegliedert. (Geisel 56) „Es stand nur ein schwacher roter Posten bei Eching.“ (Niederwerfung 91) 1919-04-29 Eine Kompanie mit ca. 30 Köpfen kommt am Mittag nach Garching auf Lkw. Dort heben sie um 2.30 Uhr eine feindliche Funkstelle aus, was 8 Gefangene einträgt. Offenbar wird die Ortschaft dann wieder geräumt, so dass sie abends erneut eingenommen werden muss. (Niederwerfung 103) 1919-04-29 „Die nach Garching bestimmten 5. Ulanen mussten sich ihre Unterkunft im Nachtkampf und um den Preis von einem Toten gegen eine mit Kraftwagen eingetroffene Abteilung roter Garden erstreiten, von der sie einen großen Teil gefangen nahmen. Auch mehrere Maschinengewehre und 30 Gewehre, die offenbar zur Bewaffnung der Dorfbewohner bestimmt waren, fielen den Ulanen in die Hände.“ (Niederwerfung 103) Derselbe Vorgang: Truppen des 5. Ulanenregiments kommen über die Bahnstation Oberschleißheim nach Garching. Nächtliches Scharmützel mit einer mit Autos eingetroffenen Abteilung der Roten. Die Ulanen hatten ein Todesopfer zu beklagen direkt vor dem Gasthof Neuwirt, ein weiteres bei Dirnismaning. Sie nehmen aber einen großen Teil der Aufständischen gefangen und erbeuten Maschinengewehre und andere Waffen. Regierungstruppen erreichen Fröttmaning. Sie setzen sich in den Freimanner Kruppwerken fest und beschießen mit Artillerie Stellungen der Roten Armee beim Bahndamm der Ringbahn. (Geisel 56; Baumgartner 366) An den Kruppwerken Freimann heftiger Widerstand. (Niederwerfung 135) In der Garching-Chronik von 1964 beschreibt Wolf Eder die Vorgänge vom 29. April 2019 so: „Die Nachkriegswirren streiften die Gemeinde nur am Rande. Einige Wochen lang war das Dorf von kommunistischen Trupps der Räterepublik, die in München ausgerufen worden war, besetzt. Ihre „umstürzlerische“ Tätigkeit beschränkte sich allerdings im wesentlichen auf Tanz und Saufgelage in den Wirtschaften. Wie ernst die „Roten“ ihre kriegerische Aufgabe nahmen, beleuchtet eine kleine Episode aus jenen Tagen. Beim heutigen Postgarten stand ein großer, mit Pferden bestandener Funkwagen. Obwohl der Gegner, die „Weiße Garde“, bestehend aus Freikorpskämpfern unter General v. Epp, seine Hauptmacht bei Freising zusammengezogen hatte und sich zur Befreiung Münchens anschickte, saß die Funkwagenbesatzung gemütlich beim Bier und ließ es sich schmecken. Umso größer war die Überraschung, als sich ihr Funkwagen plötzlich in Bewegung setzte und zum Dorf hinausraste. Ein paar blindlings hinterher gejagte Schüsse verfehlten ihr Ziel. Im Fuhrwerk eines Müllers versteckt, hatten sich nämlich einige Weißgardisten in die Höhle des Löwen gewagt und den unbewachten Wagen einfach entführt. Bald darauf wurde Garching von den „Weißen, die aus Schleißheim heranrückten, fast kampflos besetzt. Den wenigen Schüssen, die gewechselt wurden, fiel nur unmittelbar neben dem Neuwirtsgarten einer der Angreifer zum Opfer.“ Die Einnahme Garchings durch die Weißen beschreibt er nochmal anders: „Von einigen Garchingern hieß es damals, sie hätten auch auf Seiten der „Roten“ gestanden, doch galt ihre Sympathie nur den Karabinern, die sich vorzüglich zum Wildern brauchen ließen. An einem Samstagabend, Ende April 1919 gegen 11 Uhr rückte die Weiße Garde in Garching ein, und weil alles so friedlich und kampflos vor sich ging, verhaftete sie ein gutes Dutzend Garchinger Bürger, die im Gasthof zu ‚Post‘ zu dieser fortgeschrittenen Stunde noch fröhlich hinter ihrer Maß saßen. Unter militärischer Bedeckung wurden sie zum Neuwirt eskortiert, aber nicht um auch dort das Bier zu probieren, sondern um in einem Nebenzimmer eingesperrt zu werden. Aus welchem Grund, wussten die Wachposten selber nicht, aber Befehl ist halt Befehl. Zu ihrem Glück war der Bürgermeister Kellerer ein Mann, dem die Soldatenspielerei nicht imponierte. Er erschien in aller Herrgottsfrühe und holte mit einem Machtwort seine Leute wieder heraus. Die „Weißen“ wollten es mit ihm auch nicht verderben, denn Garching sollte für einige Zeit ihr Standquartier werden. Weil sie aber nichts Besseres zu tun hatten, veranstalteten sie viele Bälle, bei denen es hübsch hoch herging und Garching ein wenig erwünschtes Nachtleben erhielt. Ärgerten sich darüber schon die Bürger, so waren die Burschen besonders wütend, zumal ihnen obendrein der Zutritt versagt blieb. Doch sie wussten ein einfaches Mittel, um den Frechlingen den Spaß zu versalzen. Beim Raufen hätten sie wohl den Kürzeren gezogen, aber das war gar nicht nötig. Sie schraubten heimlich die Sicherungen heraus und nahmen sie mit. Während die Weißgardisten im Dunkeln brüllend und schimpfend über Tische und Stühle stolperten und den Ausgang suchten, schlichen sich die Burschen lachend davon und brachten anderntags den Wirten die entwendeten Raritäten – das waren Sicherungen damals nämlich – zur sicheren Aufbewahrung zurück. Um einen guten Spaß waren die Burschen auch nicht verlegen, als es keine Revoluzzer mehr im Dorf gab.“ (Garching-Chronik 1964, 21-23; die Angabe „an einem Samstagabend“ kann nicht stimmen, denn der 29. April, an dem die Weißen Garching einnahmen, war ein Dienstag) 1919-06-15 Gemeindewahl. 1919-06-22 erste Sitzung des neu gewählten Gemeinderates. Das Protokoll wird unterzeichnet von Bürgermeister August Kellerer und 9 Gemeinderäten: Frank Josef (Lehrer und Gemeindeschreiber), Leinthaler August, Lipperer Josef, Buchner Bartl, Sondermayer Franz, Wagner Georg, Popp Josef, Steininger Max, Pfaller Franz. Dazu der Arbeiterrat: Niklas Johann, Kink Josef; der Bauernrat: Wagner Georg, Kellerer Georg, Neuhauser A(ugust), Steininger Max. In den Wohnungsausschuss werden berufen: Sondermayer (Gemeinderat), Niklas (Arbeiterrat) und Pfaller (Gemeinderat). Erläuterungen „Revoluzzer“ war die Einschätzung des Garchinger Chronikautors im Jahre 1964, geschrieben 45 Jahre nach den Ereignissen. Er beruft sich auf die Erinnerungen alter Garchinger. Mit dem Begriff „Revoluzzer“ und seiner anekdotischen Erzählung macht er sich über beide Seiten in dem Kampf lustig. Er stellt das Verhalten der Rotarmisten einseitig dar; diese wenig ernsthafte Seite, eben in der Wirtschaft beim Bier zu sitzen, trifft durchaus bei manchen zu. Die ernste Seite beschönigt er: die Weißen gingen mit äußerster Gewaltanwendung vor. Gedeckt und ermuntert durch das verhängte Standrecht nahmen sie nicht nur Gefangene, sondern erschossen in der Regel Personen, die mit einer Waffe angetroffen wurden, wie in Oberschleißheim. Auch Personen, die sich an den Kämpfen gar nicht beteiligten, wurden willkürlich verhaftet, wie in Garching, oft aufgrund von Denunziationen. Ein bekannter Fall waren die 12 Perlacher Arbeiter, die aufgrund einer wahrscheinlich vom evangelischen Pfarrer Hell, einem Deutschnationalen, erstellten Liste verhaftet und am 5. Mai im Haidhausener Hofbräukeller erschossen wurden; sie waren USPD-Mitglieder und vier waren Mitglieder des Arbeiterrates in Perlach. Ähnlich ist der Fall der 21 Handwerksgesellen des katholischen Gesellenvereins St. Joseph, die im Schwabinger Gasthaus Lachenmeier ein geplantes Theaterstück besprachen, als Bolschewisten denunziert wurden und am 6. Mai kurz nach ihrer Verhaftung im Prinz-Georg-Palais am Karolinenplatz erschossen wurden. Erst nach diesem Mord wurde dem Töten Einhalt geboten. Rund 1000 Menschen waren von den Weißen getötet worden. Viele Leichen wurden in Gewächshäusern im Ostfriedhof aufgebahrt, um von Angehörigen identifiziert zu werden. Die Verhaftung des „guten Dutzend“ Garchinger Bürger im Postwirt und ihr Einsperren im Neuwirt war also durchaus nicht lustig und das Einschreiten des Garchinger Bürgermeisters August Kellerer hoch anständig und mutig. Die „Rote Armee“, die vom Palmsonntagsputsch am 13. April bis zur Einnahme Münchens durch die „Weißen“ am 1. und 2. Mai 1919 nur wenige Tage bestand, bildete sich aus Freiwilligen: Arbeitern aus großen Rüstungsbetrieben wie den Freimanner Kruppwerken, auch aus kleineren Fabriken, und Soldaten aus den Münchner Kasernen. In diesen losen Gruppierungen waren die Truppen organisiert. Sie wurden spontan zu den Einsätzen gerufen. So eilten schon am 15. April etwa 1000 Mann zur Dachauer Straße bei Karlsfeld und schlugen dort anrückende „Weiße“ nach Dachau zurück und nahmen schließlich Dachau ein, um den Ort als Stützpunkt auszubauen. Dabei halfen auch Arbeiterinnen aus der Dachauer Munitionsfabrik mit. Viele Männer kehrten abends nach München zu ihren Familien zurück. Manche ließen es sich tatsächlich bei Bier und Wein gut gehen, wie Wollenberg beklagt. Die Kämpfer erhielten einen festgelegten recht niedrigen Sold; manche kamen allein wegen der Bezahlung und Verpflegung, denn die Not war groß, gerade unter den heimgekehrten Soldaten. Ihre Gewehre stammten aus den Kasernen, aus den Beständen der Polizei und der Republikanischen Schutztruppe, die entwaffnet wurden, und sie wurden in den Dörfern bei den Einwohnerwehren konfisziert, wie in Garching. In den Dörfern rund um München, z.B. in Garching, Ismaning, Oberschleißheim usw. standen kleine Posten von Rotarmisten. (Vollständige Aufstellung für alle Orte in ganz Oberbayern bei Baumgartner-Grund. Ausführliche und gründliche Darstellung über die Rote Armee aufgrund der Archivquellen von Walter Roos). Nur wenige Rotarmisten waren überzeugte Kommunisten wie Erich Wollenberg und Eugen Leviné, denn die KPD war erst im Januar 1919 gegründet worden. Es war ihnen sicher bewusst, dass bewaffneter Kampf in den Augen der Regierung Hochverrat war, auf den die Todesstrafe stand. Die USPD-Anhänger, vor allem Ernst Toller und Gustav Landauer waren eher pazifistisch und anarchistisch als militant. Die große Mehrzahl der Arbeiter waren Anhänger der SPD, deren Regierung Hoffmann ab dem 17. April die Räteherrschaft offen bekämpfte mit dem Einsatz von Reichstruppen und Freikorps. Die Freikorpsführer konnten mit großzügiger Bezahlung und kostenloser Bahnfahrt zum Sammelplatz werben. Insgesamt standen ca. 35.000 Regierungssoldaten 10.000 bis 12.000 Rotarmisten gegenüber. (Roos 140, Karl 243 f.). Die Trennung zwischen Anhängern und Gegnern der Räterepublik ging quer durch die Fabriken und Kasernen wie durch die ganze Bevölkerung. Auch unter der Landbevölkerung gab es Anhänger. So schrieb zwar Bürgermeister Kellerer im November 1919 an das Bezirksamt, der Arbeiterrat sei „minimal“; es gab ja kaum Arbeiter in Garching, anders als etwa in Ismaning. Eder schreibt von „einigen Garchingern“, die auf Seiten der „Roten“ gestanden hätten, ihre Sympathie hätte jedoch den Karabinern gegolten, die sich zum Wildern gebrauchen ließen. Auch hier macht er sich lustig. Es mag so gewesen sein, denn in den Dörfern war die Stimmung konservativ-katholisch. Man ärgerte sich über die Forderungen der Räte, Milch und andere Lebensmittel nach München zu liefern, denn die Regierung Hoffmann hatte Lieferungen nach München untersagt. Während des Krieges hatten die Bauern aber ebenso Lieferpflichten, die sie der preußischen Kriegführung anlasteten. Tatsächlich gab es 1918/19 nicht wenige Mitglieder des Bayerischen Bauernbundes, der unter Führung der Brüder Gandorfer die Revolution Eisners unterstützt hatte. Man hört bei Eder heraus, dass die Bauern nichts von den Arbeitern hielten, aber auch nichts von den Preußen, die sich Anfang Mai 1919 im Dorf bewaffnet breit machten. Die hier zitierten Berichte, die von unmittelbaren Zeitgenossen stammen, zeigen klare Parteinahme. Erich Wollenberg (Als Rotarmist vor München, 1929) nahm selbst auf Seiten der Roten als Offizier an den Kämpfen teil. Er beschreibt die Aktionen der Kommunisten mit Lob für ihren Einsatz. Die USPD-Anhänger und ihr Führer, der Pazifist und Anarchist Ernst Toller, werden mit Verachtung charakterisiert. Tollers „Scheinräterepublik“ war nun von den Kommunisten abgelöst worden, aber Toller arbeitete weiter mit. Weil er Blutvergießen vermeiden wollte und deshalb wiederholt mit Abgesandten der Hoffmann-Regierung und weißen Truppenführern um einen Waffenstillstand verhandelte, erschien er als Verräter. Eindeutig auf Seiten der Rätegegner steht eine Publikation aus der NS-Zeit (Die Niederwerfung der Räteherrschaft in Bayern 1919, erschienen 1939). Die erfolgreiche Sprengung der Gleise nördlich Schleißheim wird nicht erwähnt, ebenso nicht die Tötung von vier Kämpfern der „roten Banden“ in Schleißheim, ebenso wenig wie die willkürliche Verhaftung der Garchinger Bürger im Postwirt. Odward Geisel beruft sich in seiner Garching-Chronik von 2002 auf die Forschungen von Johannes Timmermann, bei dem gründliche Nachforschungen erkennbar sind. Ebenso gründlich ist die umfangreiche Zusammenstellung von Günter Baumgartner und Dietrich Grund (2019). Leider sind die dortigen Angaben, die unverändert der Literatur entnommen sind, nicht genau diesen Titeln zuzuordnen. Sehr verdienstvoll ist das Buch allemal, weil darin zum ersten Mal die Ereignisse aller Orte außerhalb Münchens in ganz Oberbayern beschrieben werden. Bände über weitere Regierungsbezirke sind angekündigt. Über die Ereignisse in München selbst gibt es nämlich zahlreiche Darstellungen und Quellensammlungen, auch von Zeitgenossen, aber nicht über die Ereignisse im Land. Was waren die „Bauernräte“? Diese waren eine Besonderheit in Bayern. In Berlin und anderswo wurden im November 1918 „Arbeiter- und Soldatenräte“ gewählt, die neue Reichsregierung nannte sich „Rat der Volksbeauftragten“. In Bayern ließ Kurt Eisner noch am 7. November in großen Versammlungen in Münchner Bierkellern Arbeiter- und Soldatenräte wählen. Karl Gandorfer, der mit Eisner den Umsturz vorbereitet hatte, war Vorsitzender des Bayerischen Bauernbundes und ließ im Land Bauernräte wählen, er selbst wurde Vorsitzender des „Zentralen Bauernrates“. Die Aufgaben der Rätegremien wurden von der neuen Regierung in Verordnungen im November und Dezember 1918 festgelegt. Sie erhielten Kontroll- und Ausführungsbefugnisse in der Verwaltung. Nach Eisners Vorstellung sollten sie dauerhaft in der Verfassung verankert werden: sie sollten dem Volk eine direkte Beteiligung ermöglichen und ein Gegengewicht gegen die Parteiendemokratie bilden. In den Dörfern wurden die Bauernräte meist in den Gemeindeversammlungen gewählt, die Anzahl der Mitglieder richtete sich nach der Einwohnerzahl; in Garching waren es fünf Mitglieder. Ihre Aufgaben waren, die wirtschaftlichen Interessen der Bauern zu vertreten, indem sie z.B. über die Ablieferungsmengen mitbestimmten. Die Arbeiterräte bestimmten z.B. bei der Wohnungsvergabe mit. Im Gemeinderat (so hieß nun der bisherige Gemeindeausschuss) hatten sie beratende Funktion, kein Stimmrecht. Die „Räterepublik“ in München im April 1919 bestand darin, dass die Rätegremien direkt die Regierungsgewalt übernahmen. Das ging den meisten Menschen in den Dörfern zu weit, insbesondere als Kommunisten die Führung übernahmen und die „Rote Armee“ aufstellten, was die Regierung Hoffmann zum Hochverrat erklärte und deshalb das Standrecht verhängte. Die Landbevölkerung wählte die konservativ-katholische Patriotenpartei, die im Reich Zentrumspartei hieß, jetzt „Bayerische Volkspartei“ (BVP). Die Kirchenführung Kardinal Faulhabers verdammte den Umsturz Eisners. Der Bayerische Bauernbund allerdings, der vor allem die kleineren Bauern vertrat, im Gegensatz zum Bund der Landwirte der Großbauern, war unter Führung von Karl Gandorfer seit 1912 weit nach links gerückt und antiklerikal. So gab es in den Dörfern durchaus eine revolutionäre Stimmung: Die kleinen Bauern und Gewerbetreibenden gegen die großen Bauern, die großen Bauern gegen die seit dem Krieg bestehenden Ablieferungs-verpflichtungen und auch gegen die meist wenigen Arbeiter. Im Krieg hatten die Garchinger wiederholt versucht, sich den Ablieferungspflichten zu entziehen (z.B. durch Beschluss des Gemeindeausschusses vom 30. Januar 1917). Auch wenigstens eine Kirchenglocke wollte man vor der Ablieferung retten, „da diese zum Gebetszeichen für die weit auf den Feldern befindlichen Arbeitspersonen und für den öffentlichen Stundenschlag notwendig ist.“ (Sitzung vom 27. März 1917). Die Bauernräte setzen sich etwa zur Hälfte aus Kleinbauern und zur anderen Hälfte aus Gütlern, Landarbeitern und Kleingewerbetreibenden zusammen. Diese „kleinen Leute“ vertraten sie gegen die Großbauern im Gemeinderat. Der Arbeiterrat Niklas war übrigens Zimmerermeister, der Arbeiterrat Kink Josef war Straßenmeister. Von den vier Bauernräten waren zwei reguläre Gemeinderäte: Wagner Georg und Steininger Max. Die „Ökonomen“ Wagner Georg und Kellerer Georg gehörten offenbar zu den ärmeren Leuten, denn sie erhielten gesetzliche Familienunterstützung (Sitzung vom 10. Dezember 1914). Der Gemeinderat Sondermayer Franz war Schmiedmeister, Pfaller Franz war Mineralwasserfabrikant. Lipperer Josef ? Gegen die kommunistische Räterepublik im April 1919 traten Bauern vor allem in das Freikorps Oberland ein, mit der Katastrophe von Anfang Mai 1919 wandten sich auch die Bauernräte von politischen Zielen ab und begnügten sich mit Mitwirkung an wirtschaftlichen und sozialen Aufgaben; im Sommer 1919 lösten sie sich ganz auf. Was blieb war, dass sich die Schicht der bisherigen Knechte und Mägde, die jetzt Landarbeiter hießen, in großer Zahl im „Deutschen Landarbeiterverband“ organisierten: „Die politische Selbständigmachung der Schicht der Landarbeiter ist die größte Wirkung der Revolution. Der Ausflug der bäuerlichen Bevölkerung in die hohe Politik ist beendet. Die Begeisterung der Revolution ist vorbei.“ (Mattes 1921, S. 209; dort eine sehr genaue Darstellung über die bayerischen Bauernräte). Bis heute gilt die Rätezeit vielen als eine Verirrung „g‘spinnerter Revoluzzer“. Der einseitig getrübte Blick wird den Menschen nicht gerecht. Kurt Eisners unblutige Revolution und sein Pazifismus gewannen viele Sympathien. Der Mord an Kurt Eisner trieb viele einfache Leute an, sich gegen die zu wehren, welche das Alte wieder haben wollten. In München prägte sich jedoch das Propagandabild ein, dass die Räteanhänger landfremde Juden seien und dass die Revolutionäre plündern, morden und rauben. (Karl 143). Damit war dem Antisemitismus und Antikommunismus der Nazis der Boden bereitet. Gustav Landauer und Eugen Leviné, beides Juden, wurden ermordet. Im engsten Kreis um Hitler sammelten sich die Sieger wie Freikorpsführer von Epp und Röhm, der neue Münchner Polizeipräsident Pöhner und sein Mitarbeiter Frick, später Hitlers Justizminister. Mit den rücksichtslosen Erschießungen durch die einmarschierenden Freikorps wird erstmals das Vorgehen praktiziert, das den Einmarsch deutscher Soldaten und besonders der SS in Städten Polens und der Sowjetunion im 2. Weltkrieg bestimmte. (Man kann fragen, was die Anhänger der Räterepublik zum revolutionären Kampf bewegte, mit dem doch viele ihr Leben riskierten. Denn nach Ansicht der bayerischen und der Reichsregierung war das Hochverrat, auf den die Todesstrafe stand. In der letzten Phase der kommunistischen Räterepublik fühlten sich die Anführer als Vorkämpfer der Weltrevolution, bestärkt durch die Oktoberrevolution 1917 Lenins und aktuell durch die Ungarische Räterepublik seit 21.März 1919. Die einfachen Leute waren geprägt durch die Erfahrung des 1. Weltkriegs, in dem sie für die Pläne der monarchischen Führer ihr Leben opfern sollten. Eisners Pazifismus und seine unblutige Revolution begeisterten viele. Die Räte boten endlich die Möglichkeit, an der neuen Zeit mitzugestalten und die Alltagsprobleme zu lösen, was die meisten Räte hauptsächlich taten. Eine diktatorische Räteherrschaft wie in Russland wollten die meisten aber nicht. So zeigt das Ergebnis der Landtagswahl vom 12. Januar 1919, dass man wieder zu den bekannten Parteien zurückkam. Die Radikalisierung und Kampfbereitschaft wurde ausgelöst durch die brutale Niederschlagung des Spartakusaufstands und die Ermordung ihrer Führer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht am 15. Januar 1919 in Berlin. Am 21. Februar wurde dann Kurt Eisner ermordet und in einem großen Trauerzug zum Ostfriedhof geleitet. Der Palmsonntagsputsch am 13. April 1919 führte dann zur Ausrufung der kommunistischen Räterepublik. Die anrückenden Freikorps fürchtete man zurecht und war bereit, sie von München fernzuhalten.) Literatur: Baumgartner, Günter – Grund, Dietrich, Die bayerische Revolution 1918/19 in Stadt und Land, Bd. 1: Oberbayern, Lich/Hessen 2019 Garching. Vom Heidedorf zum Atomzentrum, hrsg. von der Gemeinde Garching bei München, Aßling 1964 („Garching-Chronik 1964“) Geisel, Odward, Garching bei München. Spuren des Zeitgeschehens, Stuttgart 2002 Karl, Michaela, Die Münchener Räterepublik. Porträts einer Revolution, Düsseldorf 2008 Mattes, Wilhelm, Die bayerischen Bauernräte. Eine soziologische und historische Untersuchung über bäuerliche Politik, Münchener volkswirtschaftliche Studien 144, Stuttgart-Berlin 1921 Die Niederwerfung der Räteherrschaft in Bayern 1919, hrsg. von der Kriegsgeschichtlichen Forschungsanstalt des Heeres. Darstellungen aus den Nachkriegskämpfen deutscher Truppen und Freikorps Bd. 4, Berlin 1939 („Niederwerfung“) Roos, Walter, Die Rote Armee der Bayerischen Räterepublik in München 1919. Gab es diese Armee wirklich und was war ihre Stärke? Heidelberg 1998 Wollenberg, Erich, Als Rotarmist vor München. Reportage aus der Münchner Räterepublik, Arbeiterdichtungen Bd. 3, Berlin 1929 Archivalische Quellen: Protokollbücher des Gemeindeausschusses Garching, Stadtarchiv Garching. Weitere Dokumente befinden sich im Hauptstaatsarchiv München (Arbeiter- und Soldatenräte), im Staatsarchiv München (Bezirksamt München), im Hauptstaatsarchiv München – Abteilung Kriegsarchiv (Freikorps). In einem weiteren Schritt sind diese auszuwerten.
Revolution 1918/19 in Garching – Chronologie und Erläuterungen Von Michael Müller, Dezember 2019 1918-01-28 Berlin 400.000 Arbeiter streiken. Freimann Kruppsche Geschützwerke: Kurt Eisner (USPD) ruft vor einer großen Versammlung von Arbeitern im Schwabinger Bräu zum Streik für die Beendigung des Krieges auf, gegen die Meinung von SPD und Gewerkschaften. Am 31.01. beginnt der Streik, am 1.2. wird Eisner verhaftet und im Gefängnis am Neudeck, später in Stadelheim inhaftiert. 1918-09-02 In Garching beschließt der Gemeindeausschuss, „infolge der immer mehr zunehmenden nächtlichen Diebstähle, Ruhestörungen, Umherstreunens durch die Jugend … die Polizeistunde an Werktagen, Sonn- und Feiertagen auf abends 10 Uhr“ festzulegen. (Protokollbuch im Stadtarchiv Garching; Geisel 55 gibt irrtümlich „im November 1918“ an, also nach Kriegsende; den Fehler übernimmt Baumgartner 366) 1918-10-14 Eisner aus der Haft entlassen, weil er für die geplante Landtagswahl kandidiert. 1918-11-07 Eisner fordert bei einer großen Kundgebung auf der Theresienwiese neben Erhard Auer (SPD) das Ende des Krieges. König Ludwig III. flieht. Eisner ruft im Landtag den „Freistaat Bayern“ aus, also die Republik, und bildet eine Regierung. Gleichzeitig lässt er in Versammlungen Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte wählen, auch in den Kommunen. 1918-11-09 Berlin: Philip Scheidemann (SPD) ruft die Republik aus. Der Kaiser flieht. Zum Vergrößern klicken 1918-11-27 Der Garchinger Bürgermeister August Kellerer schreibt an das Bezirksamt: Die Gemeinde hat sich selbst eine Bürgerwehr aus 30 Bürgern errichtet. „Es sind lauter solche Leute, die militärisch mit der Waffe ausgebildet sind und schon mehrere Jahre im Felde gestanden sind.“ „Der Arbeiterrat ist bei uns so minimal, dass er sich um die Sache gar nicht kümmert.“ Kellerer bittet um 30 Gewehre. Die Gemeinde erhält 20 Gewehre mit Seitengewehr und jeweils 45 Schuss Munition. (Geisel 55; Baumgartner 366) 1919-01-12 Landtagswahl: BVP 35 %, SPD 33 %, DVP 14 %, Bayer. Bauernbund 9,1 %, USPD 2,5 %. 1919-02-21 Eisner auf dem Weg zum Landtag ermordet. 1919-03-17 Der Landtag bildet die Regierung Hoffmann aus SPD, DVP und Bauernbund. 1919-04-07 Der „Zentralrat“ proklamiert die (1.) Räterepublik unter Ernst Toller (USPD, Pazifist). Die Regierung Hoffmann flieht nach Bamberg. 1919-04-13 Die „Republikanische Schutztruppe“, im Auftrag der Regierung Hoffmann, versucht vom Hauptbahnhof aus einen Gegenputsch, verhaftet Toller (Palmsonntagsputsch). Beim Kampf um den Hauptbahnhof gibt es etwa 70 Tote und Verwundete, die Putschisten fliehen im Zug. 1919-04-14 Die KPD in München ruft die 2., kommunistische, Räterepublik aus unter Führung von Eugen Leviné (KPD) und bildet eine „Rote Armee“ unter dem jungen Matrosen Rudolf Eglhofer. Hoffmann bittet die Reichsregierung um Militärhilfe. 1919-04-25 Die Regierung Hoffmann verhängt das Standrecht. 1919-04-13 Freimann. Arbeiter der Kruppschen Geschützwerke bilden die „Kompanie Krupp“ der „Roten Armee“. (Baumgartner 365) In Garching ruft Bürgermeister Kellerer den Gemeindeausschuss zusammen, (der sich jetzt „Garchinger Arbeiter- und Bauernrat“ nennt ?). Der formuliert ein Protestschreiben an das Bezirksamt, weil „heutzutage noch immer nicht Ordnung u. … sich die Lage noch nicht gebessert hat u. … dass er die Gewehre nicht abgibt sondern an die Bürgersöhne wieder verteilt. Den (!) auf eine Regierung kan (!) man sich heute noch nicht verlassen.“ (Geisel 56) 1919-04-14 Bewaffnete „rote“ Soldaten aus Freimann beschlagnahmen die Gewehre beim Garchinger Bürgermeister. Er protestiert am nächsten Tag erfolglos beim Bezirksamt. (Geisel 56; Baumgartner 366, dort beim Kap. „Freimann“ steht der 15.4.) 1919-04-26 Freising eingenommen von der „Gruppe B (Ingolstadt)“ in der Nacht auf 26. April; dort Verhaftung des Verkehrsministers der Räte Paulukum in einer Gaststätte beim Essen, angeblich „mit einem Koffer voll Geld“. (Niederwerfung 90-91) 1919-04-26 Das 5. Ulanenregiment marschiert in Freising ein. (Baumgartner 370, Postkarte) 1919-04-26 Schleißheim: „Rote“ Soldaten räumen den Flugplatz fast widerstandslos den „Weißen“. Ein Panzerzug steht nun in Schleißheim. (Wollenberg 117 f.) 1919-04-27./28. Vormarsch auf München mit der Eisenbahn, Panzerzüge voraus. Für den 30.04. ist der Angriff auf die vermutete Verteidigungslinie Pasing-Dachau-Freising anberaumt. Kaltes schneeiges Wetter (Niederwerfung 96 und 103) 1919-04-27 Abends: Das Kavallerie-Schützen-Kommando 14 ist von Freising aus auf dem Schienenweg nach Schleißheim und „schlug dort rote Banden, welche die Ausladung zu stören suchten, teils auch allerhand Anschläge auf die Eisenbahn selbst im Schilde führten, aus dem Feld“. (Niederwerfung 103) 1919-04-27 Eine rote Patrouille in Stärke von 25 Mann, darunter 15 russische Kriegsgefangene, wird von Dachau nach Schleißheim geschickt, um einen zweiten Panzerzug, der „einige Kilometer nördlich an einer kleinen Station hielt, … durch Sprengung der Geleise … wenigstens vorübergehend unschädlich zu machen.“ In der Nacht gelingt es, „mit geballten Handgranatenladungen“ die Schienen zu sprengen. Die Lokomotive entgleist, der Lokführer ist tot. Die Patrouille liefert sich in der Nacht und im Morgengrauen Gefechte mit den weißen Soldaten in Schleißheim. Die Patrouille kann sich mit fünf Verwundeten zurückziehen, vier bleiben schwer verwundet zurück; „sie wurden von den weißen Banden unter grausamen Foltern ermordet.“ (Wollenberg 118 f.) Der Ortschronist von Oberschleißheim, Otto Bürger, verlegt die Gleissprengung auf den 30. April bei Mittenheim, nachdem dieser Panzerzug in Neufahrn ausgeladen worden ist. Er gibt an, der Heizer sei tot. (Baumgartner …, Foto) 1919-04-28 Vorstoß der Roten von Garching bis Eching, um dort die aus München geflohenen Angehörigen der Thulegesellschaft zu vertreiben. Sie hatten ihr Quartier im Alten Wirt. Sie wollten dort den Widerstand gegen die „Roten“ organisieren und Unterstützer für das Freikorps Oberland anwerben. Sie ziehen sich nach Eichstätt zurück und werden dort der Garnison Ingolstadt eingegliedert. (Geisel 56) „Es stand nur ein schwacher roter Posten bei Eching.“ (Niederwerfung 91) 1919-04-29 Eine Kompanie mit ca. 30 Köpfen kommt am Mittag nach Garching auf Lkw. Dort heben sie um 2.30 Uhr eine feindliche Funkstelle aus, was 8 Gefangene einträgt. Offenbar wird die Ortschaft dann wieder geräumt, so dass sie abends erneut eingenommen werden muss. (Niederwerfung 103) 1919-04-29 „Die nach Garching bestimmten 5. Ulanen mussten sich ihre Unterkunft im Nachtkampf und um den Preis von einem Toten gegen eine mit Kraftwagen eingetroffene Abteilung roter Garden erstreiten, von der sie einen großen Teil gefangen nahmen. Auch mehrere Maschinengewehre und 30 Gewehre, die offenbar zur Bewaffnung der Dorfbewohner bestimmt waren, fielen den Ulanen in die Hände.“ (Niederwerfung 103) Derselbe Vorgang: Truppen des 5. Ulanenregiments kommen über die Bahnstation Oberschleißheim nach Garching. Nächtliches Scharmützel mit einer mit Autos eingetroffenen Abteilung der Roten. Die Ulanen hatten ein Todesopfer zu beklagen direkt vor dem Gasthof Neuwirt, ein weiteres bei Dirnismaning. Sie nehmen aber einen großen Teil der Aufständischen gefangen und erbeuten Maschinengewehre und andere Waffen. Regierungstruppen erreichen Fröttmaning. Sie setzen sich in den Freimanner Kruppwerken fest und beschießen mit Artillerie Stellungen der Roten Armee beim Bahndamm der Ringbahn. (Geisel 56; Baumgartner 366) An den Kruppwerken Freimann heftiger Widerstand. (Niederwerfung 135) In der Garching-Chronik von 1964 beschreibt Wolf Eder die Vorgänge vom 29. April 2019 so: „Die Nachkriegswirren streiften die Gemeinde nur am Rande. Einige Wochen lang war das Dorf von kommunistischen Trupps der Räterepublik, die in München ausgerufen worden war, besetzt. Ihre „umstürzlerische“ Tätigkeit beschränkte sich allerdings im wesentlichen auf Tanz und Saufgelage in den Wirtschaften. Wie ernst die „Roten“ ihre kriegerische Aufgabe nahmen, beleuchtet eine kleine Episode aus jenen Tagen. Beim heutigen Postgarten stand ein großer, mit Pferden bestandener Funkwagen. Obwohl der Gegner, die „Weiße Garde“, bestehend aus Freikorpskämpfern unter General v. Epp, seine Hauptmacht bei Freising zusammengezogen hatte und sich zur Befreiung Münchens anschickte, saß die Funkwagenbesatzung gemütlich beim Bier und ließ es sich schmecken. Umso größer war die Überraschung, als sich ihr Funkwagen plötzlich in Bewegung setzte und zum Dorf hinausraste. Ein paar blindlings hinterher gejagte Schüsse verfehlten ihr Ziel. Im Fuhrwerk eines Müllers versteckt, hatten sich nämlich einige Weißgardisten in die Höhle des Löwen gewagt und den unbewachten Wagen einfach entführt. Bald darauf wurde Garching von den „Weißen, die aus Schleißheim heranrückten, fast kampflos besetzt. Den wenigen Schüssen, die gewechselt wurden, fiel nur unmittelbar neben dem Neuwirtsgarten einer der Angreifer zum Opfer.“ Die Einnahme Garchings durch die Weißen beschreibt er nochmal anders: „Von einigen Garchingern hieß es damals, sie hätten auch auf Seiten der „Roten“ gestanden, doch galt ihre Sympathie nur den Karabinern, die sich vorzüglich zum Wildern brauchen ließen. An einem Samstagabend, Ende April 1919 gegen 11 Uhr rückte die Weiße Garde in Garching ein, und weil alles so friedlich und kampflos vor sich ging, verhaftete sie ein gutes Dutzend Garchinger Bürger, die im Gasthof zu ‚Post‘ zu dieser fortgeschrittenen Stunde noch fröhlich hinter ihrer Maß saßen. Unter militärischer Bedeckung wurden sie zum Neuwirt eskortiert, aber nicht um auch dort das Bier zu probieren, sondern um in einem Nebenzimmer eingesperrt zu werden. Aus welchem Grund, wussten die Wachposten selber nicht, aber Befehl ist halt Befehl. Zu ihrem Glück war der Bürgermeister Kellerer ein Mann, dem die Soldatenspielerei nicht imponierte. Er erschien in aller Herrgottsfrühe und holte mit einem Machtwort seine Leute wieder heraus. Die „Weißen“ wollten es mit ihm auch nicht verderben, denn Garching sollte für einige Zeit ihr Standquartier werden. Weil sie aber nichts Besseres zu tun hatten, veranstalteten sie viele Bälle, bei denen es hübsch hoch herging und Garching ein wenig erwünschtes Nachtleben erhielt. Ärgerten sich darüber schon die Bürger, so waren die Burschen besonders wütend, zumal ihnen obendrein der Zutritt versagt blieb. Doch sie wussten ein einfaches Mittel, um den Frechlingen den Spaß zu versalzen. Beim Raufen hätten sie wohl den Kürzeren gezogen, aber das war gar nicht nötig. Sie schraubten heimlich die Sicherungen heraus und nahmen sie mit. Während die Weißgardisten im Dunkeln brüllend und schimpfend über Tische und Stühle stolperten und den Ausgang suchten, schlichen sich die Burschen lachend davon und brachten anderntags den Wirten die entwendeten Raritäten – das waren Sicherungen damals nämlich – zur sicheren Aufbewahrung zurück. Um einen guten Spaß waren die Burschen auch nicht verlegen, als es keine Revoluzzer mehr im Dorf gab.“ (Garching-Chronik 1964, 21-23; die Angabe „an einem Samstagabend“ kann nicht stimmen, denn der 29. April, an dem die Weißen Garching einnahmen, war ein Dienstag) 1919-06-15 Gemeindewahl. 1919-06-22 erste Sitzung des neu gewählten Gemeinderates. Das Protokoll wird unterzeichnet von Bürgermeister August Kellerer und 9 Gemeinderäten: Frank Josef (Lehrer und Gemeindeschreiber), Leinthaler August, Lipperer Josef, Buchner Bartl, Sondermayer Franz, Wagner Georg, Popp Josef, Steininger Max, Pfaller Franz. Dazu der Arbeiterrat: Niklas Johann, Kink Josef; der Bauernrat: Wagner Georg, Kellerer Georg, Neuhauser A(ugust), Steininger Max. In den Wohnungsausschuss werden berufen: Sondermayer (Gemeinderat), Niklas (Arbeiterrat) und Pfaller (Gemeinderat). Erläuterungen „Revoluzzer“ war die Einschätzung des Garchinger Chronikautors im Jahre 1964, geschrieben 45 Jahre nach den Ereignissen. Er beruft sich auf die Erinnerungen alter Garchinger. Mit dem Begriff „Revoluzzer“ und seiner anekdotischen Erzählung macht er sich über beide Seiten in dem Kampf lustig. Er stellt das Verhalten der Rotarmisten einseitig dar; diese wenig ernsthafte Seite, eben in der Wirtschaft beim Bier zu sitzen, trifft durchaus bei manchen zu. Die ernste Seite beschönigt er: die Weißen gingen mit äußerster Gewaltanwendung vor. Gedeckt und ermuntert durch das verhängte Standrecht nahmen sie nicht nur Gefangene, sondern erschossen in der Regel Personen, die mit einer Waffe angetroffen wurden, wie in Oberschleißheim. Auch Personen, die sich an den Kämpfen gar nicht beteiligten, wurden willkürlich verhaftet, wie in Garching, oft aufgrund von Denunziationen. Ein bekannter Fall waren die 12 Perlacher Arbeiter, die aufgrund einer wahrscheinlich vom evangelischen Pfarrer Hell, einem Deutschnationalen, erstellten Liste verhaftet und am 5. Mai im Haidhausener Hofbräukeller erschossen wurden; sie waren USPD-Mitglieder und vier waren Mitglieder des Arbeiterrates in Perlach. Ähnlich ist der Fall der 21 Handwerksgesellen des katholischen Gesellenvereins St. Joseph, die im Schwabinger Gasthaus Lachenmeier ein geplantes Theaterstück besprachen, als Bolschewisten denunziert wurden und am 6. Mai kurz nach ihrer Verhaftung im Prinz-Georg-Palais am Karolinenplatz erschossen wurden. Erst nach diesem Mord wurde dem Töten Einhalt geboten. Rund 1000 Menschen waren von den Weißen getötet worden. Viele Leichen wurden in Gewächshäusern im Ostfriedhof aufgebahrt, um von Angehörigen identifiziert zu werden. Die Verhaftung des „guten Dutzend“ Garchinger Bürger im Postwirt und ihr Einsperren im Neuwirt war also durchaus nicht lustig und das Einschreiten des Garchinger Bürgermeisters August Kellerer hoch anständig und mutig. Die „Rote Armee“, die vom Palmsonntagsputsch am 13. April bis zur Einnahme Münchens durch die „Weißen“ am 1. und 2. Mai 1919 nur wenige Tage bestand, bildete sich aus Freiwilligen: Arbeitern aus großen Rüstungsbetrieben wie den Freimanner Kruppwerken, auch aus kleineren Fabriken, und Soldaten aus den Münchner Kasernen. In diesen losen Gruppierungen waren die Truppen organisiert. Sie wurden spontan zu den Einsätzen gerufen. So eilten schon am 15. April etwa 1000 Mann zur Dachauer Straße bei Karlsfeld und schlugen dort anrückende „Weiße“ nach Dachau zurück und nahmen schließlich Dachau ein, um den Ort als Stützpunkt auszubauen. Dabei halfen auch Arbeiterinnen aus der Dachauer Munitionsfabrik mit. Viele Männer kehrten abends nach München zu ihren Familien zurück. Manche ließen es sich tatsächlich bei Bier und Wein gut gehen, wie Wollenberg beklagt. Die Kämpfer erhielten einen festgelegten recht niedrigen Sold; manche kamen allein wegen der Bezahlung und Verpflegung, denn die Not war groß, gerade unter den heimgekehrten Soldaten. Ihre Gewehre stammten aus den Kasernen, aus den Beständen der Polizei und der Republikanischen Schutztruppe, die entwaffnet wurden, und sie wurden in den Dörfern bei den Einwohnerwehren konfisziert, wie in Garching. In den Dörfern rund um München, z.B. in Garching, Ismaning, Oberschleißheim usw. standen kleine Posten von Rotarmisten. (Vollständige Aufstellung für alle Orte in ganz Oberbayern bei Baumgartner-Grund. Ausführliche und gründliche Darstellung über die Rote Armee aufgrund der Archivquellen von Walter Roos). Nur wenige Rotarmisten waren überzeugte Kommunisten wie Erich Wollenberg und Eugen Leviné, denn die KPD war erst im Januar 1919 gegründet worden. Es war ihnen sicher bewusst, dass bewaffneter Kampf in den Augen der Regierung Hochverrat war, auf den die Todesstrafe stand. Die USPD-Anhänger, vor allem Ernst Toller und Gustav Landauer waren eher pazifistisch und anarchistisch als militant. Die große Mehrzahl der Arbeiter waren Anhänger der SPD, deren Regierung Hoffmann ab dem 17. April die Räteherrschaft offen bekämpfte mit dem Einsatz von Reichstruppen und Freikorps. Die Freikorpsführer konnten mit großzügiger Bezahlung und kostenloser Bahnfahrt zum Sammelplatz werben. Insgesamt standen ca. 35.000 Regierungssoldaten 10.000 bis 12.000 Rotarmisten gegenüber. (Roos 140, Karl 243 f.). Die Trennung zwischen Anhängern und Gegnern der Räterepublik ging quer durch die Fabriken und Kasernen wie durch die ganze Bevölkerung. Auch unter der Landbevölkerung gab es Anhänger. So schrieb zwar Bürgermeister Kellerer im November 1919 an das Bezirksamt, der Arbeiterrat sei „minimal“; es gab ja kaum Arbeiter in Garching, anders als etwa in Ismaning. Eder schreibt von „einigen Garchingern“, die auf Seiten der „Roten“ gestanden hätten, ihre Sympathie hätte jedoch den Karabinern gegolten, die sich zum Wildern gebrauchen ließen. Auch hier macht er sich lustig. Es mag so gewesen sein, denn in den Dörfern war die Stimmung konservativ-katholisch. Man ärgerte sich über die Forderungen der Räte, Milch und andere Lebensmittel nach München zu liefern, denn die Regierung Hoffmann hatte Lieferungen nach München untersagt. Während des Krieges hatten die Bauern aber ebenso Lieferpflichten, die sie der preußischen Kriegführung anlasteten. Tatsächlich gab es 1918/19 nicht wenige Mitglieder des Bayerischen Bauernbundes, der unter Führung der Brüder Gandorfer die Revolution Eisners unterstützt hatte. Man hört bei Eder heraus, dass die Bauern nichts von den Arbeitern hielten, aber auch nichts von den Preußen, die sich Anfang Mai 1919 im Dorf bewaffnet breit machten. Die hier zitierten Berichte, die von unmittelbaren Zeitgenossen stammen, zeigen klare Parteinahme. Erich Wollenberg (Als Rotarmist vor München, 1929) nahm selbst auf Seiten der Roten als Offizier an den Kämpfen teil. Er beschreibt die Aktionen der Kommunisten mit Lob für ihren Einsatz. Die USPD-Anhänger und ihr Führer, der Pazifist und Anarchist Ernst Toller, werden mit Verachtung charakterisiert. Tollers „Scheinräterepublik“ war nun von den Kommunisten abgelöst worden, aber Toller arbeitete weiter mit. Weil er Blutvergießen vermeiden wollte und deshalb wiederholt mit Abgesandten der Hoffmann-Regierung und weißen Truppenführern um einen Waffenstillstand verhandelte, erschien er als Verräter. Eindeutig auf Seiten der Rätegegner steht eine Publikation aus der NS-Zeit (Die Niederwerfung der Räteherrschaft in Bayern 1919, erschienen 1939). Die erfolgreiche Sprengung der Gleise nördlich Schleißheim wird nicht erwähnt, ebenso nicht die Tötung von vier Kämpfern der „roten Banden“ in Schleißheim, ebenso wenig wie die willkürliche Verhaftung der Garchinger Bürger im Postwirt. Odward Geisel beruft sich in seiner Garching-Chronik von 2002 auf die Forschungen von Johannes Timmermann, bei dem gründliche Nachforschungen erkennbar sind. Ebenso gründlich ist die umfangreiche Zusammenstellung von Günter Baumgartner und Dietrich Grund (2019). Leider sind die dortigen Angaben, die unverändert der Literatur entnommen sind, nicht genau diesen Titeln zuzuordnen. Sehr verdienstvoll ist das Buch allemal, weil darin zum ersten Mal die Ereignisse aller Orte außerhalb Münchens in ganz Oberbayern beschrieben werden. Bände über weitere Regierungsbezirke sind angekündigt. Über die Ereignisse in München selbst gibt es nämlich zahlreiche Darstellungen und Quellensammlungen, auch von Zeitgenossen, aber nicht über die Ereignisse im Land. Was waren die „Bauernräte“? Diese waren eine Besonderheit in Bayern. In Berlin und anderswo wurden im November 1918 „Arbeiter- und Soldatenräte“ gewählt, die neue Reichsregierung nannte sich „Rat der Volksbeauftragten“. In Bayern ließ Kurt Eisner noch am 7. November in großen Versammlungen in Münchner Bierkellern Arbeiter- und Soldatenräte wählen. Karl Gandorfer, der mit Eisner den Umsturz vorbereitet hatte, war Vorsitzender des Bayerischen Bauernbundes und ließ im Land Bauernräte wählen, er selbst wurde Vorsitzender des „Zentralen Bauernrates“. Die Aufgaben der Rätegremien wurden von der neuen Regierung in Verordnungen im November und Dezember 1918 festgelegt. Sie erhielten Kontroll- und Ausführungsbefugnisse in der Verwaltung. Nach Eisners Vorstellung sollten sie dauerhaft in der Verfassung verankert werden: sie sollten dem Volk eine direkte Beteiligung ermöglichen und ein Gegengewicht gegen die Parteiendemokratie bilden. In den Dörfern wurden die Bauernräte meist in den Gemeindeversammlungen gewählt, die Anzahl der Mitglieder richtete sich nach der Einwohnerzahl; in Garching waren es fünf Mitglieder. Ihre Aufgaben waren, die wirtschaftlichen Interessen der Bauern zu vertreten, indem sie z.B. über die Ablieferungsmengen mitbestimmten. Die Arbeiterräte bestimmten z.B. bei der Wohnungsvergabe mit. Im Gemeinderat (so hieß nun der bisherige Gemeindeausschuss) hatten sie beratende Funktion, kein Stimmrecht. Die „Räterepublik“ in München im April 1919 bestand darin, dass die Rätegremien direkt die Regierungsgewalt übernahmen. Das ging den meisten Menschen in den Dörfern zu weit, insbesondere als Kommunisten die Führung übernahmen und die „Rote Armee“ aufstellten, was die Regierung Hoffmann zum Hochverrat erklärte und deshalb das Standrecht verhängte. Die Landbevölkerung wählte die konservativ-katholische Patriotenpartei, die im Reich Zentrumspartei hieß, jetzt „Bayerische Volkspartei“ (BVP). Die Kirchenführung Kardinal Faulhabers verdammte den Umsturz Eisners. Der Bayerische Bauernbund allerdings, der vor allem die kleineren Bauern vertrat, im Gegensatz zum Bund der Landwirte der Großbauern, war unter Führung von Karl Gandorfer seit 1912 weit nach links gerückt und antiklerikal. So gab es in den Dörfern durchaus eine revolutionäre Stimmung: Die kleinen Bauern und Gewerbetreibenden gegen die großen Bauern, die großen Bauern gegen die seit dem Krieg bestehenden Ablieferungs-verpflichtungen und auch gegen die meist wenigen Arbeiter. Im Krieg hatten die Garchinger wiederholt versucht, sich den Ablieferungspflichten zu entziehen (z.B. durch Beschluss des Gemeindeausschusses vom 30. Januar 1917). Auch wenigstens eine Kirchenglocke wollte man vor der Ablieferung retten, „da diese zum Gebetszeichen für die weit auf den Feldern befindlichen Arbeitspersonen und für den öffentlichen Stundenschlag notwendig ist.“ (Sitzung vom 27. März 1917). Die Bauernräte setzen sich etwa zur Hälfte aus Kleinbauern und zur anderen Hälfte aus Gütlern, Landarbeitern und Kleingewerbetreibenden zusammen. Diese „kleinen Leute“ vertraten sie gegen die Großbauern im Gemeinderat. Der Arbeiterrat Niklas war übrigens Zimmerermeister, der Arbeiterrat Kink Josef war Straßenmeister. Von den vier Bauernräten waren zwei reguläre Gemeinderäte: Wagner Georg und Steininger Max. Die „Ökonomen“ Wagner Georg und Kellerer Georg gehörten offenbar zu den ärmeren Leuten, denn sie erhielten gesetzliche Familienunterstützung (Sitzung vom 10. Dezember 1914). Der Gemeinderat Sondermayer Franz war Schmiedmeister, Pfaller Franz war Mineralwasserfabrikant. Lipperer Josef ? Gegen die kommunistische Räterepublik im April 1919 traten Bauern vor allem in das Freikorps Oberland ein, mit der Katastrophe von Anfang Mai 1919 wandten sich auch die Bauernräte von politischen Zielen ab und begnügten sich mit Mitwirkung an wirtschaftlichen und sozialen Aufgaben; im Sommer 1919 lösten sie sich ganz auf. Was blieb war, dass sich die Schicht der bisherigen Knechte und Mägde, die jetzt Landarbeiter hießen, in großer Zahl im „Deutschen Landarbeiterverband“ organisierten: „Die politische Selbständigmachung der Schicht der Landarbeiter ist die größte Wirkung der Revolution. Der Ausflug der bäuerlichen Bevölkerung in die hohe Politik ist beendet. Die Begeisterung der Revolution ist vorbei.“ (Mattes 1921, S. 209; dort eine sehr genaue Darstellung über die bayerischen Bauernräte). Bis heute gilt die Rätezeit vielen als eine Verirrung „g‘spinnerter Revoluzzer“. Der einseitig getrübte Blick wird den Menschen nicht gerecht. Kurt Eisners unblutige Revolution und sein Pazifismus gewannen viele Sympathien. Der Mord an Kurt Eisner trieb viele einfache Leute an, sich gegen die zu wehren, welche das Alte wieder haben wollten. In München prägte sich jedoch das Propagandabild ein, dass die Räteanhänger landfremde Juden seien und dass die Revolutionäre plündern, morden und rauben. (Karl 143). Damit war dem Antisemitismus und Antikommunismus der Nazis der Boden bereitet. Gustav Landauer und Eugen Leviné, beides Juden, wurden ermordet. Im engsten Kreis um Hitler sammelten sich die Sieger wie Freikorpsführer von Epp und Röhm, der neue Münchner Polizeipräsident Pöhner und sein Mitarbeiter Frick, später Hitlers Justizminister. Mit den rücksichtslosen Erschießungen durch die einmarschierenden Freikorps wird erstmals das Vorgehen praktiziert, das den Einmarsch deutscher Soldaten und besonders der SS in Städten Polens und der Sowjetunion im 2. Weltkrieg bestimmte. (Man kann fragen, was die Anhänger der Räterepublik zum revolutionären Kampf bewegte, mit dem doch viele ihr Leben riskierten. Denn nach Ansicht der bayerischen und der Reichsregierung war das Hochverrat, auf den die Todesstrafe stand. In der letzten Phase der kommunistischen Räterepublik fühlten sich die Anführer als Vorkämpfer der Weltrevolution, bestärkt durch die Oktoberrevolution 1917 Lenins und aktuell durch die Ungarische Räterepublik seit 21.März 1919. Die einfachen Leute waren geprägt durch die Erfahrung des 1. Weltkriegs, in dem sie für die Pläne der monarchischen Führer ihr Leben opfern sollten. Eisners Pazifismus und seine unblutige Revolution begeisterten viele. Die Räte boten endlich die Möglichkeit, an der neuen Zeit mitzugestalten und die Alltagsprobleme zu lösen, was die meisten Räte hauptsächlich taten. Eine diktatorische Räteherrschaft wie in Russland wollten die meisten aber nicht. So zeigt das Ergebnis der Landtagswahl vom 12. Januar 1919, dass man wieder zu den bekannten Parteien zurückkam. Die Radikalisierung und Kampfbereitschaft wurde ausgelöst durch die brutale Niederschlagung des Spartakusaufstands und die Ermordung ihrer Führer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht am 15. Januar 1919 in Berlin. Am 21. Februar wurde dann Kurt Eisner ermordet und in einem großen Trauerzug zum Ostfriedhof geleitet. Der Palmsonntagsputsch am 13. April 1919 führte dann zur Ausrufung der kommunistischen Räterepublik. Die anrückenden Freikorps fürchtete man zurecht und war bereit, sie von München fernzuhalten.) Literatur: Baumgartner, Günter – Grund, Dietrich, Die bayerische Revolution 1918/19 in Stadt und Land, Bd. 1: Oberbayern, Lich/Hessen 2019 Garching. Vom Heidedorf zum Atomzentrum, hrsg. von der Gemeinde Garching bei München, Aßling 1964 („Garching-Chronik 1964“) Geisel, Odward, Garching bei München. Spuren des Zeitgeschehens, Stuttgart 2002 Karl, Michaela, Die Münchener Räterepublik. Porträts einer Revolution, Düsseldorf 2008 Mattes, Wilhelm, Die bayerischen Bauernräte. Eine soziologische und historische Untersuchung über bäuerliche Politik, Münchener volkswirtschaftliche Studien 144, Stuttgart-Berlin 1921 Die Niederwerfung der Räteherrschaft in Bayern 1919, hrsg. von der Kriegsgeschichtlichen Forschungsanstalt des Heeres. Darstellungen aus den Nachkriegskämpfen deutscher Truppen und Freikorps Bd. 4, Berlin 1939 („Niederwerfung“) Roos, Walter, Die Rote Armee der Bayerischen Räterepublik in München 1919. Gab es diese Armee wirklich und was war ihre Stärke? Heidelberg 1998 Wollenberg, Erich, Als Rotarmist vor München. Reportage aus der Münchner Räterepublik, Arbeiterdichtungen Bd. 3, Berlin 1929 Archivalische Quellen: Protokollbücher des Gemeindeausschusses Garching, Stadtarchiv Garching. Weitere Dokumente befinden sich im Hauptstaatsarchiv München (Arbeiter- und Soldatenräte), im Staatsarchiv München (Bezirksamt München), im Hauptstaatsarchiv München – Abteilung Kriegsarchiv (Freikorps). In einem weiteren Schritt sind diese auszuwerten.